Katharina Liebsch und Uta Ruppert:
Aus feministischer Perspektive auf den Krieg in der Ukraine blicken?

I

Katharina Liebsch und Uta Ruppert haben für die Rubrik ‚Aus aktuellem Anlass‘ der Zeitschrift Feministische Studien Autorinnen aus aller Welt aufgefordert, Stellungnahmen zum aktuellem Kriegsgeschehen in der Ukraine einzusenden.

Offensichtlich war es schwierig, Beiträge einzuholen und das Ergebnis ist sehr bescheiden. Sei es aus Gründen der Unmittelbarkeit des Krieges, der Sorge vor Vereinnahmungen von falscher Seite oder schlichtweg der Mangel an grundsätzlichen Reflexionen. Obwohl es viele Kommentare zum tagespolitischen Geschehen gibt, konstatieren die beiden Herausgeberinnen „Zögerlichkeit und Unsicherheit, sich feministisch zu positionieren“ (323)

II

Die Herausgeberinnen betonen die Notwendigkeit feministischer Einschätzungen und Kommentare zum gegenwärtigen Krieg in der Ukraine. Das Verhältnis von Krieg und Gewalt ist aktuell neu zu analysieren und die gegenwärtig entstehenden „Vergeschlechtlichungen politischer, kultureller und sozialer Verhältnisse“ (321) sind konkret zu untersuchen. Bisherige Prioritäten verschieben sich. Die Frage nach Solidarität mit wem und worin stellt sich neu.

Die Kritik an patriarchalen Herrschaftsstrukturen, Militarismus und Gewalt steht dem Kampf um demokratische und freiheitliche Rechte gegenüber. In dieser Situation entsteht die Gefahr, dass Frauenthemen, Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung erneut zum sogenannten Nebenwiderspruch werden. Dieses Dilemma erzeugt Spannungen und offensichtlich auch Unsicherheiten, sich zu positionieren. Hinzu kommt, „ dass feministische Perspektiven auf den Krieg oder feministische Expertisen in Friedens- und Anti-Gewalt-Arbeit, egal ob aus der Wissenschaft oder aus der feministischen Praxis, in der breiten Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle spielen“ (322).

Für umso notwendiger halten die Herausgeberinnen, Diskussionen, Analysen und Kritik, um die Ambivalenz der Situation sichtbar zu machen. Leider ist es ihnen nicht gelungen, Beiträge aus Osteuropa zu bekommen, von Frauen, die unmittelbar vom Krieg betroffen sind. Sie verweisen aber auf das Manifest ukrainischer Feministinnen „The right to resist‘, das eine Antwort gibt auf das Manifest ’Feminist resistance against war‘.

III

Der Beitrag von Hanna L. Mühlenhoff (Amsterdam) und Marijn Hoijtink (Antwerpen) heißt: ‚Trotz militärischer Unterstützung für die Ukraine: eine feministische Kritik der Militarisierung der EU‘. Sie interpretieren den russischen Angriffskrieg als imperialistische Aktion, der die Ukraine nötigt anti-kolonialistischen, militärischen Widerstand zu leisten. Indem sie die historischen Besonderheiten dieser Situation herausstellen, können sie die grundsätzliche Kritik an Militarismus und Waffenhandel fortsetzen und vor einer neuen Aufrüstungsspirale warnen.

Radwa Khaled (Deutschland/Ägypten) thematisiert in ihrem Beitrag ‚Brot und Baumwolle. Krieg in einer entwickelten Welt‘ die globalen Folgen des Kriegs in der Ukraine.. Schon aktuell ist die Grundversorgung vieler Völker in südlichen Ländern gefährdet, es droht eine Verschlimmerung. Wie konnte es zu solchen extremen Abhängigkeiten kommen, wie kann einem „globalen Katastrophenkapitalismus“ (336) entgegengewirkt werden? fragt sie.

Ideen zu einer anderen Weltsicht stellt Vanessa Thompson (Kanada) in ihrem Beitrag ‚Überlegungen zu einer abolitionistischen Perspektive in einer zunehmend multipolaren Weltordnung‘ vor. Sie thematisiert, wie „der Gleichzeitigkeit multi-direktionaler, imperialismuskritischer und antimilitaristischer sowie solidarischer Analysen und Politiken“ (338) theoretisch und praktisch bei zu kommen ist. Sie plädiert für einen abolitionistischen Internationalismus, ein Konzept, das sich der Logik jeder Form struktureller Gewalt entzieht.

Ein‘ Plädoyer für eine weltweite friedenspolitische Perspektive‘ formuliert Eva Senghaas-Knobloch. Sie ist Expertin für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung, einer Disziplin, die sich seit den 70er Jahre in der BRD etabliert hat. Sie fordert, feministische Perspektiven auf Konflikte und Kooperationen zu verstärken und die Repräsentation und Mitwirkung von Frauen in Kriegs-Bewältigungs-Projekten auszubauen. Aber vor allem fordert sie: „…aktiv und auf den verschiedensten Wegen, mit Blick auf existentiell übergreifende Interessen, weitergehende Möglichkeiten zur Beendigung von Krieg und Gewalteskalation für einen dauerhaften Frieden auszuloten“ (348).

IV

Die Herausgeberinnen haben den Titel ihrer Einleitung ‚Aus feministischer Perspektive auf den Krieg in der Ukraine blicken? mit einem Fragezeichen versehen. In der Tat entsteht Ratlosigkeit angesichts der vier Beiträge. Gibt es nicht mehr und anderes zum Thema Feminismus und Krieg zu sagen? Wie konnte es zu diesem Zustand von Sprachlosigkeit, Unsichtbarkeit und Mutlosigkeit kommen?

Vielleicht ist der Zeitpunkt zu früh, verallgemeinernde Schlussfolgerungen aus dem aktuellen Kriegsgeschehen zu formulieren, die Situation ist selbst noch zu unübersichtlich? Vielleicht ist auch die Exzessivität der Gewalt zu überwältigend, so dass die bisherigen Konzepte und Theorien gar nicht ausreichen, das Geschehen zu erfassen, geschweige denn sie theoretisch zu verarbeiten? Vielleicht zeigt sich auch aktuell eine Leerstelle, ein Mangel an feministischen Analysen zum Krieg als kulturphilosophischem Phänomen. Die Kulturgeschichte der westlichen Welt (seit dem Sesshaftwerden des Menschen) ist eine Abfolge von Kriegen, von Zerstörung, Vernichtung und Erneuerung.

V

Lysistrate:
„Sieh wie wir beim Spinnen verworrenes Werg so nehmen und sacht auseinander
und zurecht mit der Spindel die Fäden ziehn, den ‚rüber, den andern hinüber,
so gedenken wir auch durch Gesandte den Krieg zu
entwirren, mit eurer Erlaubnis,
und zurechtzulegen die Fäden des Knäuels, den rüber, den
andern hinüber.“
Aristophanes

2/2023

Diese Website verwendet nur Sessiom-Cookies, die beim Verlassen automatisch gelöscht werden. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen